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12.09.2017
Die Zukunft der Arbeit als öffentliches Thema

Presseberichterstattung zwischen Mainstream und blinden Flecken – eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung (OBS) der IG Metall

Vorwort:

Als eine durchgängige politische Erfahrung des 19. und 20. Jahrhunderts gilt, dass die Destabilisierung der Erwerbsarbeit den Nationalismus fördert und die Demokratie gefährdet. Auch in den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts scheint das Vertrauen in die Zukunft der Arbeit brüchig zu bleiben. Die Verunsicherung macht vor höher qualifizierten Berufstätigkeiten nicht Halt. Befürchtungen sind weit verbreitet, dass die Globalisierung der ökonomischen Beziehungen und die Digitalisierung der Kommunikations- und Wirtschaftsprozesse die sozialen Funktionen der Erwerbsarbeit in Frage stellen. Betroffen sind sowohl die Quantität als auch die Qualität der industriellen Arbeit – aber auch die Arbeit in vielen Dienstleistungssektoren.

Doch das ist nur eine Seite, nicht das ganze Zukunftsbild. Die Digitalisierung gilt auch als ein Hoffnungsträger, weil sie Chancen für Beschäftigte bietet und mit ihr neue Wege nicht nur für industrielle Arbeit eröffnet werden. Roboter, die schwere und gesundheitsgefährdende Arbeiten übernehmen, Arbeitskräfte, die selbstbestimmter zu Werke gehen können, Produktivitätsfortschritte, die den gesellschaftlichen Wohlstand steigern: Auch das sind Vorstellungen, die mit dem digitalen Umbruch und Arbeit 4.0 verbunden sind.

Es erscheint der Otto-Brenner-Stiftung wichtig, mehr darüber zu erfahren, welche Ängste und Hoffnungen, welche Drohungen und Versprechungen die öffentliche Debatte  über  die  Zukunft  der  Arbeit  beherrschen.  Genaueres  darüber  zu  wissen, welche Probleme öffentlich thematisiert, welche Fragen in der Öffentlichkeit gestellt und welche Antworten angeboten werden, ist auch wichtig: Schließlich geht es um substanzielle gesellschaftliche Veränderungsprozesse, sozusagen um Operationen am offenen Herzen der Arbeitsgesellschaft. Wer wissen will, was die politische Öffentlichkeit umtreibt, wohin die öffentliche Meinung tendiert, schaut trotz sozialer Medien immer noch am besten in die Zeitung. Unsere Autoren haben ausgewählte Printmedien mit Methoden der quantitativen computergestützten Textanalyse sowie der qualitativen Diskursanalyse akribisch untersucht.  Sie haben eine Medienstudie vorgelegt, deren Interesse den Medien jedoch erst in zweiter Linie gilt. Ihr primäres Interesse richtet sich auf das öffentliche Bild der Arbeit der Zukunft. 

Behandelt wird ein umfassendes Themenspektrum: Von den ganz großen Perspektiven für das Verhältnis von Mensch und Maschine über die Probleme der Arbeitslosigkeit und der Erosion des Normalarbeitsverhältnisses bis hin zu Einzelfragen der Arbeitskonflikte bei Amazon, des Crowdworking und des Datenschutzes. Bewertet man die journalistischen Darstellungen unter dem Gesichtspunkt der Chancen für gute Arbeit, müssen die Befunde der Studie nachdenklich machen. Als auffälligstes Ergebnis sind die reduzierten politischen Gestaltungsansprüche festzustellen, die weit hinter dem zurückbleiben, was unter dem Titel „Humanisierung der Arbeitswelt“ einmal mehr war als ein großes Regierungsprogramm.

Stärkerer Konkurrenzdruck zwischen den Arbeitssuchenden, wachsende soziale Unsicherheiten für die Beschäftigten, noch schärfere Kontrollen der Arbeitsleistungen werden mit einer Unausweichlichkeit beschrieben, als wären die Menschen der Gewalt von Naturgesetzen ausgeliefert. War es gestern die Globalisierung, so ist es heute die Digitalisierung, die uns als unwiderstehliche Macht präsentiert wird. Mit Recht wundern sich die Autoren der Studie darüber, dass die Digitalisierung als ein selbst  laufender Prozess behandelt und als eine epochale Wende bewertet wird, die wie eine Lawine herniedergeht. Dass es Organisationen und Personen sind, die solche technischen Entwicklungen aus bestimmten Interessen vorantreiben,  dass dafür konkrete Entscheidungen getroffen werden, die auch anders ausfallen könnten, hat in der öffentlichen Wahrnehmung offenbar fast keinen Platz. Das alte Marx-Zitat „Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken“, bekommt durch diesen Umgang mit der Digitalisierung eine brisante Aktualität.

Wir hoffen, dass von dieser Medienstudie ein gesellschaftspolitischer Impuls ausgehen kann: Die Art und Weise, wie die Zukunft der Arbeit öffentlich beobachtet und beschrieben wird, muss nach unserer Auffassung auch öffentlich problematisiert werden. Denn Selbstentmachtung war noch nie ein Weg, der in eine bessere Zukunft geführt hat.

Jupp Legrand
Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung     Frankfurt am Main, im März 2017

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