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12.09.2017
Die AfD vor der Bundestagswahl 2017

Vom Protest zur parlamentarischen Opposition – eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung (OBS) der IG Metall

Vorwort:

Das deutsche Parteiensystem ist nach Dekaden relativer Stabilität in den 1980er Jahren durch die Gründung der Partei „Die Grünen“ nachhaltig in Bewegung geraten. Seitdem führen politische Unruhen, soziale Veränderungen und gesellschaftliche Unzufriedenheit nicht nur zu Bewegungen und Protesten, sondern sie münden immer wieder auch in den Aufstieg neuer Parteien. Nach dem ebenso schrillen Auf- wie rasanten Abstieg der Piratenpartei vor einigen Jahren scheint nun die Alternative für Deutschland (AfD) das Parteienspektrum dauerhaft erweitern zu können. Anders als die linksliberal orientierten Piraten, profiliert sich die AfD bisher überaus erfolgreich als Protestpartei mit politischen Positionen rechts der Union – und kann dennoch auch ehemalige Wählerinnen und Wähler linker Parteien sowie bisherige Protest- wie Nichtwähler für sich gewinnen.

Die Erfolge der AfD sind fraglos irritierend – wurde die Partei in ihrer kurzen Geschichte doch immer wieder von heftigen internen Konflikten erschüttert. Nachdem sich der wirtschaftsliberale Flügel des Parteigründers Bernd Lucke im Sommer 2015 abgespalten hatte, sahen viele Beobachter die AfD politisch am Ende – und trotzdem gelang ihr unter dem Vorsitz von Frauke Petry eine überraschende Wende. Die AfD rückte politisch deutlich nach rechts und wurde im Zuge der sogenannten „Flüchtlingskrise“ erfolgreicher denn je: Im Wahljahr 2016 gelang ihr mit zweistelligen Ergebnissen der Einzug in weitere fünf Landesparlamente, in Sachsen-Anhalt sogar mit einem Rekordergebnis von 24,3 Prozent. Nach Wahlerfolgen im Frühjahr 2017 ist die AfD insgesamt nicht nur zur landespolitisch relevanten Akteurin aufgestiegen, vielmehr erscheint auch ein Einzug in den Bundestag im Herbst 2017 durchaus als möglich.

Die Entwicklung der AfD ist politisch zweifelsohne beunruhigend. Seit dem Abgang Luckes im Sommer 2015 und dem folgenden Rechtsruck feiert sie fortgesetzte politische (Wahl-)Erfolge. Diese fielen bei den Landtagswahlen 2017 zwar niedriger aus als in den Vorjahren, dennoch verfügt die AfD auch weiterhin über erhebliche Potenziale. Diese liegen nicht nur in grundlegenden gesellschaftlichen Krisenprozessen und politischen Deformationen begründet, die etwa aus den langfristigen Erosionsprozessen vor allem der Volksparteien erwachsen sind. Vielmehr profitiert die AfD, die inzwischen in 13 der 16 Landesparlamente vertreten ist, in ihrer gegenwärtigen Entwicklung erheblich vom Zugang zur parlamentarischen Bühne und den damit verbundenen Ressourcen.

Nicht zuletzt mit Blick auf die Bundestagswahl im September 2017 ist zu fragen: Worin wurzelt der grundsätzliche Erfolg der AfD und wie ist ihr seltsamer Wiederaufstieg seit dem Herbst 2015 zu erklären? Wie gestaltet sich die hochdynamische Entwicklung im Inneren dieser stets von heftigen Konflikten geprägten Partei? Und: Wie kann die AfD als neue und politisch unerfahrene Partei, die weitgehend ohne langfristige politische Vorerfahrungen auf die parlamentarische Bühne katapultiert wurde, ihre aktuellen Potenziale nutzen?

Der Erforschung der erst 2013 gegründeten AfD widmete sich die Otto Brenner Stiftung (OBS) bereits mehrmals – stets in Kooperation mit dem von Professor Franz Walter geleiteten Göttinger Institut für Demokratieforschung. Bereits Anfang 2014 untersuchten die Forscher die ideologische Prägung der frühen AfD. In einem weiteren Projekt wurden Programme, Profile und Potenziale der AfD vor den Landtagswahlen im Frühjahr 2016 vergleichend analysiert. Die Ergebnisse dieser Untersuchung und auch das starke Abschneiden der AfD bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt am 13. März 2016 inspirierten zu weiteren Forschungen, deren wichtigste Erkenntnisse wir hier zur Diskussion stellen.

Unsere Studie seziert den gegenwärtigen Entwicklungsstand der AfD und versucht, zwei Perspektiven auszuleuchten: Einerseits werden die gegenwärtigen, dynamischen und mitunter auch widersprüchlichen Entwicklungen der AfD seit ihrer Spaltung im Sommer 2015 insgesamt untersucht.  Hierbei geht es sowohl um die sich verändernden Rahmenbedingungen als auch um interne Prozesse der Partei. Andererseits wagt sich die Studie auf ein wissenschaftlich bislang kaum untersuchtes Feld: die AfD in den (Landes-)Parlamenten. Ihre Fraktionen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt werden explorativ-exemplarisch untersucht. In ihren politischen Profilen, internen Entwicklungen, parlamentarischen Aktivitäten sowie in ihren politischen Schwerpunkten, Selbstverständnissen und Strategien zeigen sich ebenso Gemeinsamkeiten wie auch Unterschiede.

Weil die Entwicklung der AfD so dynamisch ist, kann ihre weitere Perspektive zum jetzigen Zeitpunkt natürlich nicht abschließend beurteilt werden. Dennoch soll unsere Bestandsaufnahme dabei helfen, im Bundestagswahljahr 2017 die aktuellen Potenziale, Probleme und Herausforderungen der AfD einzuordnen und zu bewerten. Wir hoffen, mit unserer aktuellen Studie die öffentliche Diskussion über die AfD vor der Bundestagswahl faktenreich begleiten zu können. Die vorurteilsfreie Darstellung, die kritische Analyse und die abwägende Interpretation des neuen politischen Akteurs durch unsere Autoren ermöglichen es, die grundlegenden Wandlungsprozesse im Parteiensystem angemessen verfolgen und besonders die gegenwärtige Entwicklung der AfD besser einordnen zu können.

Jupp Legrand
Geschäftsführer der Otto Brenner Stiftung  Frankfurt am Main, im Juni 2017

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