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25.09.2018
Gewerkschaft: Prekäre Beschäftigung wächst

Studie im Auftrag der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung belegt: Deutsche "Arbeitsmarkterfolge" auch dank wachsender Armut und Unsicherheit – Politik muss sich mehr um das Prekariat kümmern

Wie groß ist das Prekariat in Deutschland, wenn man einen wissenschaftlichen Maßstab anlegt? In der Erwerbsbevölkerung leben gut 12 Prozent oder gut vier Millionen Menschen dauerhaft in prekären Umständen. Das heißt: Job ohne Perspektive, zu wenig Einkommen, mangelhafte soziale Absicherung, und das über mehrere Jahre. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue, von der Hans-Böckler-Stiftung des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) geförderte Studie.
 
Mit Prekariat ist eine Gruppe gemeint, die zwischen der sozial abgesicherten Mehrheit der Erwerbstätigen und den dauerhaft Erwerbslosen steht. Sie strampelt sich in wechselnden, schlecht bezahlten Jobs ab, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen. Aber lebt jeder befristet Beschäftigte, Leiharbeiter, Minijobber oder mit geringem Erfolg Selbstständige automatisch in prekären Umständen? Nein, sagt das Forscherteam der Studie um Prof. Dr. Jutta Allmendinger vom Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) und Prof. Dr. Markus Promberger von der Universität Erlangen-Nürnberg.

Wenn jemand beispielsweise vorübergehend prekär beschäftigt ist, jedoch in einem relativ wohlhabenden Haushalt lebt, könne man zwar von einer prekären Erwerbssituation, jedoch nicht von prekären Lebensumständen sprechen. Dazu müssen verschiedene Faktoren für einen längeren Zeitraum zusammentreffen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler legen also einen komplexeren Maßstab an, um zu ermitteln, wie verbreitet dauerhafte Prekarität in Deutschland ist.

Ergebnis: 12,3 Prozent der Erwerbsbevölkerung waren in einem Zehnjahreszeitraum überwiegend prekär beschäftigt. Unter ihnen bilden Frauen im Haupterwerbsalter, die meistens Kinder haben, mit 6,7 Prozent der Erwerbstätigen die größte Teilgruppe. Die zweitgrößte Gruppe besteht aus "Vätern in anhaltend prekärer Lage", denen es selbst bei dauerhafter Erwerbstätigkeit nicht gelingt, "gemeinsam mit der Partnerin die Familie sicher zu versorgen". Das sind 4,3 Prozent der Erwerbstätigen. Weitere 1,3 Prozent entfallen auf junge Männer ohne abgeschlossene Berufsausbildung.

Die Politik sei gut beraten, resümieren die Forscherinnen und Forscher, sich mehr um das Prekariat zu kümmern. Der Mindestlohn sei für diese Gruppe enorm wichtig, könne aber das Problem nicht alleine lösen. Nachzudenken sei auch über eine "solidarische Lohn- und Steuerpolitik mit Umverteilungskomponenten in Richtung von Geringverdienern" und ihren Haushalten. Außerdem gebe es Potential für arbeitsrechtliche Reformen: Einschränkung von Befristungen, Regeln für Leiharbeit und Werkverträge, leichterer Zugang zum Arbeitslosengeld für Menschen mit regelmäßigen Erwerbsunterbrechungen.

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