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25.07.2019
Hans-Böckler-Stiftung: Deutschland kann sich höhere Löhne leisten

Bei den Kosten je Arbeitsstunde liegt Deutschland im EU-Vergleich unverändert auf Platz acht. In jüngster Zeit hat der Dienstleistungssektor gegenüber der Industrie etwas aufgeholt.

In Deutschland sind die Entgeltunterschiede zwischen Industrie- und Dienstleistungsbranche am höchsten

Im EU-weiten Vergleich gibt es noch einigen Nachholbedarf bei den Löhnen und Gehältern in Deutschland

Im Schnitt kostete eine Arbeitsstunde in Deutschland im vergangenen Jahr 31,90 Euro. Neben dem Lohn sind darin Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung sowie weitere Aufwendungen der Arbeitgeber enthalten. Der deutsche Wert liegt drei Euro über dem Durchschnitt des Euroraums. Auffällig ist vor allem die große Lohndifferenz zwischen Industrie und Dienstleistungswirtschaft in Deutschland. Während die Arbeitsstunde im Servicesektor nur gut 29 Euro kostet, sind im verarbeitenden Gewerbe 37 Euro zu zahlen. Das geht aus einer aktuellen Studie des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunktur hervor.

Die vergleichsweise hohen Arbeitskosten in der Industrie – in diesem Segment belegt Deutschland Platz vier statt Platz acht in der EU – lassen aber keinesfalls den Schluss zu, die deutsche Wirtschaft habe Schwierigkeiten im internationalen Wettbewerb, betonen die IMK-Forscher. Im Gegenteil: Bei der Wettbewerbsfähigkeit ist Deutschland seinen Nachbarn seit dem Jahr 2000 erheblich vorausgeeilt. Dies lässt sich an den Lohnstückkosten ablesen, die neben den Arbeitskosten die Entwicklung der Produktivität berücksichtigen. Die Exporte haben sich preisbereinigt seit der Jahrtausendwende mehr als verdoppelt.

Angesichts der ungelösten Eurokrise beurteilt das IMK die deutschen Exporterfolge mit Blick auf die weiter gestiegenen Leistungsbilanzüberschüsse kritisch. Sie trügen „nicht zur Stabilisierung des außenwirtschaftlichen Umfelds bei, weil sie bisher nicht von entsprechend hohen Importsteigerungen begleitet wurden“. Um zur wirtschaftlichen Gesundung des Euroraums beizutragen, dürfe Deutschland nicht nur exportieren, sondern müsse vor allem den übrigen Mitgliedsländern mehr Waren abnehmen.

Dass dies nur unzureichend geschieht, führen die Forscher auf die jahrelang schwache binnenwirtschaftliche Entwicklung hierzulande zurück. Letztere hängt gerade mit dem Zurückbleiben der Löhne in den nicht exportorientierten Wirtschaftszweigen zusammen – was wiederum die ungewöhnlich niedrigen Arbeitskosten im Dienstleistungsbereich erklärt.

Immerhin, schreiben die Konjunkturforscher, gab es in jüngster Zeit Anzeichen dafür, dass die Dienstleistungsbranchen beginnen könnten, ihren Rückstand aufzuholen: Im ersten Halbjahr 2015 stiegen deren Arbeitskosten mit 3,1 Prozent relativ kräftig und stärker als im verarbeitenden Gewerbe, wo der Zuwachs lediglich bei 2,5 Prozent lag. Ob „das weitere Auseinanderdriften der deutschen Arbeitskosten“ damit wirklich gestoppt wird, bleibe allerdings abzuwarten, da der stärkere Anstieg in diesem Jahr nicht zuletzt auf die Einführung des Mindestlohns zurückzuführen sein dürfte, so das IMK.

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