Startseite
15.05.2020
IG Metall: Mit Qualifizierung den Wandel gestalten

Der IG Metall-Bildungsexperte Frank Gerdes legt im Interview dar, warum Weiterbildung eine wesentliche Grundlage für die zukünftigen Berufsperspektiven darstellt

Frank Gerdes, Bildungsexperte der IG Metall

Der Wandel der Arbeitswelt stellt Beschäftigte vor riesige Herausforderungen. Weiterbildung ist für die zukünftige, berufliche Perspektive elementar. Im Interview spricht Frank Gerdes, Bildungsexperte beim Vorstand der IG Metall darüber, warum Weiterbildung derzeit mehr denn je maßgeblich ist für die Beschäftigungschancen der Kolleginnen und Kollegen – und wie Unternehmen dazu gebracht werden können, Qualifizierungsbedarfe systematisch zu erheben.

Frage: Die Corona-Krise stellt Betriebe und Beschäftigte vor riesigen Herausforderungen. Gleichzeitig wandelt fortschreitende Digitalisierung die Arbeitswelt grundlegend. Sind die Kolleginnen und Kollegen gut gerüstet für die Veränderungen, die auf sie zukommen?

Frank Gerdes: Leider nicht im vollen Maße. Zwar wissen alle, dass die technische Entwicklung höhere Qualifikationen erfordert. Allerdings ist noch nicht überall angekommen, dass Fortbildung entscheidend ist für die zukünftige, berufliche Perspektive. Nicht allen Beschäftigten ist bewusst, dass Bildung und Weiterbildung wichtig ist für das gesamte Arbeitsleben. Betriebsräten ist aber schon sehr bewusst: Weiterbildung ist derzeit mehr denn je maßgeblich für die Beschäftigungschancen der Kolleginnen und Kollegen.

Frage: Der Wandel wird schnell kommen...

Frank Gerdes: Ja. Leider mehren sich aber die Hinweise, dass der anstehende Wandel, der durch fortschreitenden Digitalisierung vorangetrieben und gestaltet wird, sich in einem schwierigen Stadium befindet.

Frage: Welche Anzeichen gibt es dafür?

Frank Gerdes: Nun, zum Beispiel das geringe Weiterbildungsverhalten der Beschäftigten in den Betrieben. Dann das viel zu geringe Investitionsvolumen in Weiterbildung der Unternehmer und schließlich auch das zurückhaltende Agieren der Betriebsräte bei ihrer Mitbestimmung im Feld der beruflichen Weiterbildung, nach den §§96-98 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Es ist allerdings noch nicht zu spät, gerade jetzt in der krisenbedingten Situation Ausfallzeiten für Qualifizierung zu nutzen.

Frage: Aktuelle Umfragen zeigen: Viele Betriebe ermitteln neu entstehende Qualifizierungsbedarfe derzeit nicht systematisch. Was muss geschehen, damit sich das ändert?

Frank Gerdes: Zum einen müssen die Arbeitnehmervertretungen das Thema Fortbildung zum TOP-Thema erklären. Unklarheiten und Unsicherheiten bei einem professionellen Vorgehen können hier leicht durch Seminare für die Betriebsräte ausgeglichen werden. Das Bildungsangebot der IG Metall hat gerade in diesem Bereich sehr gute Qualifizierungen im Angebot.

Frage: Was ist noch wichtig?

Frank Gerdes: Wichtig ist zum anderen natürlich, dass der Weiterbildungsbedarf im ganzen Betrieb systematisch identifiziert und erfasst und bei allen Beschäftigten der Zugang zur Fortbildung abgesichert werden muss. Das Mitbestimmungsrecht im BetrVG bietet hier eine optimale Grundlage und starke Umsetzungsmöglichkeiten für die betriebliche Interessenvertretung. Aber auch gewerkschaftliche Vertrauensleute könnten durch eine Qualifizierung zum "Weiterbildungsmentor" die Beschäftigten gut unterstützen und das Thema Fortbildung treiben. Kleinere Betriebsräte, die Unterstützung benötigen, sollten unbedingt auf Beratungsangebote, wie es zum Beispiel das bfw bietet, zurückgreifen. Eines ist klar: Im Feld der beruflichen Fortbildung gar nicht zu agieren, das gefährdet langfristig Beschäftigung. Es ist heutzutage fast schon fahrlässig.

Frage: Neben mehr und bessere betriebliche Weiterbildung ist eine lernförderliche Arbeitskultur nötig, damit die Beschäftigte gestärkt aus den Veränderungen der Transformationsprozesse hervorgehen. Was bedeutet "lernförderliche Arbeitskultur" – und wie lässt sie sich verwirklichen?

Frank Gerdes: Bei durchweg allen Arbeitsplätzen in den Betrieben sollte es in der Zukunft zur Kultur gehören, dass Beschäftigte bereits während der Arbeit, im Prozess der Arbeit lernen. Beim Lernen am „praktischen Tun“ im unmittelbaren Arbeitsprozess wird neues Wissen sofort angewendet und dadurch verwertbar. Der Nutzen ist für alle bis hin zum Vorgesetzten erkennbar, es lernt sich dadurch leichter, und man merkt sich das Erlernte viel besser.

Frage: Wie lässt sich ein lernförderliches Arbeitsumfeld verwirklichen?

Frank Gerdes: Es ist wichtig, dass Führungskräfte den Aufbau eines solchen Arbeitsumfeldes fördern und unterstützen. Neben der entsprechenden Gestaltung der Arbeitsplätze müssen dann natürlich auch flankierend entsprechende Weiterbildungsangebote entwickelt und angeboten werden. Der Aufbau einer lernförderlichen Gestaltung der Arbeit sollte der Schwerpunkt der betrieblichen Bildungspolitik im Betriebsrat sein - noch vor dem Hinwenden auf formale Fortbildungsabschlüsse. Bisher wird das aber nur in den wenigsten Betrieben als eine besondere Aufgabe gesehen. Die Betriebe, die das allerdings schon leben, sind oft Vorreiter beim Thema Digitalisierung. Sie sind innovativ und sie zeichnen sich durch Wachstum bei der Beschäftigtenzahl aus. Die IG Metall fordert deshalb aus gutem Grund einen Wandel in der Bildungspolitik.

Inhalt der Broschüre: Technologien an Produkten und Arbeitsanforderungen im Produktherstellungsprozess verändern sich durch Digitalisierung grundlegend. Das macht eine Anpassungsfortbildung für die vorhandenen Fachkräfte notwendig. In dieser aktuellen Broschüre haben wir sieben Kernthemenfelder für die betriebliche Fortbildung der schon ausgelernten Fachkräfte aufbereitet, zeigen die Qualifikationsinhalte auf und haben bei jedem Themenfeld ein schon gelebtes betriebliches Beispiel hinterlegt. Verbunden mit dem Tarifvertrag Bildung und einer Zertifizierungsmöglichkeit geben wir Euch damit praktische Umsetzungsbeispiele zum Thema Transformation an die Hand.

Druckansicht