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31.08.2020
Hans-Böckler-Stiftung: Differenzierte Tarifpolitik im Jahr 2020

Tarifentgelte entwickeln sich je nach Corona-Betroffenheit der Branchen - Tariflöhne steigen 2020 durchschnittlich um 2,1 Prozent

Kurzarbeit: 54 Prozent in tarifgebundenen Unternehmen erhalten Aufstockung

Angesichts der Corona-Krise agiert die Tarifpolitik in diesem Jahr besonders differenziert. In Branchen, die stark vom wirtschaftlichen Einbruch durch die Pandemie betroffen sind, liegen die Schwerpunkte auf Beschäftigungssicherung. Außerdem steht in vielen Bereichen die Stabilisierung der Einkommen von Beschäftigten in Kurzarbeit im Fokus von tariflichen Vereinbarungen.

So erhielten im Juni 54 Prozent der Kurzarbeitenden in Unternehmen mit Tarifvertrag eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes, in Unternehmen ohne Tarifbindung hingegen nur eine Minderheit von 31 Prozent. In Wirtschaftsbereichen, deren Geschäfte weniger leiden, die möglicherweise sogar florieren und/oder in denen sich eine besondere „Systemrelevanz“ der geleisteten Arbeit erwiesen hat, geht es dagegen in der Tarifrunde 2020 auch um spürbare Lohnerhöhungen. Das gilt zum Beispiel für den öffentlichen Dienst der Kommunen und beim Bund, bei der Deutschen Post und im Gebäudereinigerhandwerk, wo die Tarifverhandlungen in diesen Tagen starten. In der Tarifrunde des Bauhauptgewerbes beginnt die Schlichtung.

Branchenspezifische Tarifpolitik zeigt die Stärke des deutschen Tarifsystems

Die deutlichen Unterschiede zeigten die Stärken des deutschen Tarifsystems, betont Prof. Dr. Thorsten Schulten, Tarifexperte des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung: „Unter den Bedingungen der Corona-Pandemie hat sich die Tarifpolitik einmal mehr als ein effizientes und flexibles Regelungssystem erwiesen, das in der Lage ist, differenzierte Antworten auf die unterschiedlichen Herausforderungen der verschiedenen Branchen zu geben“, sagt der Leiter des WSI-Tarifarchivs. Dazu gehöre auch, dass die Tariflöhne unter Berücksichtigung der im 1. Halbjahr 2020 abgeschlossenen Tarifverträge und der in den Vorjahren für 2020 bereits vereinbarten Tarifabschlüsse in diesem Jahr um durchschnittlich 2,1 Prozent steigen. Dies ergibt sich aus der aktuellen Halbjahresbilanz, die das Tarifarchiv heute vorlegt.

Werden lediglich die im 1. Halbjahr 2020, also inmitten der Corona-Krise, getätigten Neuabschlüsse berücksichtigt, so steigen die Tariflöhne um 1,2 Prozent. Allerdings schlagen die bereits 2019 oder früher vereinbarten Tarifabschlüsse in 2020 nach wie vor mit 2,6 Prozent zu Buche, so dass sich insgesamt eine Tariferhöhung von 2,1 Prozent ergibt. Gegenüber den Vorjahren 2018 und 2019, in denen die Tariflöhne relativ kräftig um 3,0 bzw. 2,9 Prozent anstiegen, wird der Tarifzuwachs in diesem Jahr deutlich kleiner ausfallen. Angesichts eines durchschnittlichen Anstiegs der Verbraucherpreise von nur 1,2 Prozent im 1. Halbjahr 2020 ergibt sich jedoch nach wie vor ein Reallohnzuwachs von 0,9 Prozent.

Metall- und Elektroindustrie: Beschäftigungssicherung statt Tarifforderungen

„Zuwächse bei den Tariflöhnen setzen wichtige Impulse für Konsum und Konjunktur. Das gleiche gilt natürlich für tarifliche Regelungen, die Arbeitsplätze verlässlich sichern oder die für eine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes sorgen. Beides hilft dabei, die gesamtwirtschaftliche Krise zu überwinden“, sagt Schulten.

Zu den großen Tarifbranchen, die erst einmal die reguläre Tarifrunde um einige Monate vertagt und sich stattdessen kurzfristig auf Maßnahmen zur Sicherung der Beschäftigung in der Krise konzentriert haben, gehört die Metall- und Elektroindustrie. Wie in vielen anderen Branchen wurden hier Regelungen beschlossen, die vor allem Beschäftigungssicherung und eine betriebliche Aufstockung des Kurzarbeitergeldes erleichtern (Zahlreiche weitere tarifvertragliche Fallbeispiele hierzu finden sich auch auf der Sonderseite „Kurzarbeit“ des WSI-Tarifarchivs: https://www.wsi.de/de/kurzarbeit-22444.htm).

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