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05.05.2021
Gesamt- und Konzernbetriebsrat: Zwischenstand SPACE

In den neuen IG Metall-Schaeffler-Nachrichten nehmen wir Stellung zum aktuellen Stand der Verhandlungen über das Restrukturierungsprogramm „SPACE“

Zwischenstand SPACE: Der komplexe Weg zu tragfähigen Kompromissen

Der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats bewertet den Stand des Restrukturierungsprogramms

Was war deine größte Sorge am 09.09.2020, als der Schaeffler-Vorstand „SPACE“ vorstellte?

Salvatore Vicari: Ich hatte Sorge, ob wir beim sehr umfangreichen Restrukturierungspaket „SPACE“ betriebsbedingte Kündigungen verhindern. Doch nach kontroversen, intensiven Verhandlungen und vor allem vielen großartigen Aktionen vereinbarten wir mit dem Arbeitgeber solide Eckpunkte, als Rahmen für die Interessenausgleiche. So konnten wir bisher betriebsdingte Kündigungen vermeiden. Auch Eingriffe in die Tarifverträge wehrten wir ab, was ich als großen Erfolg betrachte.
Wir bekommen zudem Investitionen im Automotive-Bereich mit der Brennstoffzelle und dem Zentrallabor, und die Industrie-Sparte investiert in Themen wie Robotics. Ein Punkt, der mir Sorge bereitet, ist aber die langfristige Perspektive der deutschen Standorte.

Was fehlt aus deiner Sicht?

Der Arbeitgeber hat keine einheitliche Strategie für alle Standorte. Wir als Gesamt- und Konzernbetriebsrat fordern eine Perspektive auch für kleinere Betriebe in Deutschland. Hier bedarf es einer gezielten Spezialisierung durch Weiterentwicklung aktueller Geschäftsfelder und das Erschließen neuer Optionen. Die Chancen liegen in Nischen und Sonderlösungen industrieller Anwendungen.
Hier haben wir künftig Qualifizierungsbedarf. Dafür brauchen wir gemeinsam vereinbarte Rahmenbedingungen und eine angepasste Qualifikationskultur, um die Transformationsprozesse im Sinne der Beschäftigten und für den Erhalt der Standorte begleiten zu können. Am 18.12.2020 haben wir dazu Eckpunkte vereinbart. Wir müssen die Aus- und Weiterbildung weiterentwickeln und auch die Betriebsräte bei Verlagerungen beteiligen, um diese besser mitgestalten zu können.

Werden auf SPACE weitere Programme folgen oder wird vorerst „Ruhe“ bei Schaeffler einkehren?

Das Restrukturierungsprogramm SPACE zeigt auf, in welchem Wandel sich Schaeffler befindet. Themen wie alternative Antriebstechnologien und die Digitalisierung unserer Arbeitswelt sind sehr dynamisch und mit SPACE nicht abgeschlossen. Aus meiner Sicht benötigen wir hier Klarheit und Transparenz, zum Beispiel bei Antriebstechnologien. So wollen wir Planungssicherheit für die Standorte sowie für die Kolleginnen und Kollegen erreichen.

Das Werk Eltmann wird ins Werk Schweinfurt integriert und das Werk Wuppertal wird geschlossen. Was sagst du dazu?

Ich kritisiere dies massiv! Die Betriebsräte Eltmann und Wuppertal haben wirtschaftlich und sozial tragfähige Konzepte ausgearbeitet. Die Arbeitgeberseite hat trotz sehr guter Alternativen an den unternehmerischen Entscheidungen festgehalten. Dies ist einseitig und sozial unausgewogen. Es hätte Alternativen für die Zukunft der beiden Standorte gegeben.

Siehst Du Handlungsbedarf in der gesetzlichen Mitbestimmung, um solchen Veränderungsprozessen besser entgegentreten zu können?

Ja! Die Rolle des Wirtschaftsausschusses muss aufgewertet werden. Außerdem brauchen wir echte Mitbestimmung bei Digitalisierung sowie Personalplanung und -entwicklung. Auch eine Ausweitung der Mitbestimmung auf wirtschaftliche Angelegenheiten ist beim derzeitigen Arbeitsplatzabbau und Standortschließungen in der Automobil- und Zuliefererindustrie zu diskutieren.

 

Aktueller Stand der Verhandlungspakete

Die Vorsitzenden der Betriebsräte nehmen Stellung zu den Interessenausgleichen „SPACE“

Paket 1: Automotive Aftermarket
(Hamburg, Köln, Langen)

Ausgangslage: Der Arbeitgeber hatte die Absicht, die Betriebsstätten Hamburg und Köln zu schließen, den Standort Langen zu verlagern und Personal abzubauen (50 Arbeitsplätze).
Ergebnis: Die Betriebsstätte Hamburg bleibt unbefristet und die Betriebsstätte Köln bis April 2024 erhalten. Der Stellenabbau läuft ohne betriebsbedingte Kündigungen.
Bewertung: Susanne Lau, die Vorsitzende des Betriebsrats Hamburg und des Gesamtbetriebsrats Schaeffler Automotive Aftermarket, sieht die Verhandlungen als Erfolg: „Wir haben durchgesetzt, dass Hamburg eine neue Betriebsstätte bekommt, in der 60 % der Kolleginnen und Kollegen einen Arbeitsplatz haben. Alle Beschäftigten im Aftermarket können mit vernünftigen Rahmenbedingungen und sozialer Absicherung zuhause arbeiten. Der Betriebsrat Langen gestaltet den neuen Standort mit. Der Stellenabbau läuft über das Freiwilligenprogramm. Wir sind zufrieden mit Interessenausgleich und Sozialplan. Dieses Ergebnis haben wir nur erzielt, weil wir Druck gemacht und gemeinsam Lösungsvorschläge entwickelt haben!“

Paket 2: Automotive
(Bühl, Gunzenhausen, Herzogenaurach, Homburg, Ingolstadt, Lahr, Luckenwalde, Morbach, Schweinfurt, Suhl)

Ausgangslage: Der Vorstand wollte Luckenwalde verkaufen, Homburg-Zunderbaum schließen und sich von 1.917 Arbeitsplätzen trennen – in Herzogenaurach (706), Luckenwalde (357), Bühl (344), Homburg (292), Schweinfurt (56), Gunzenhausen (50), Lahr (38), Ingolstadt (32), Morbach (27), Suhl (15).
Ergebnis: Homburg-Zunderbaum wird geschlossen, die Belegschaft übernommen. Der Arbeitsplatzabbau in den übrigen Standorten konnte sozialverträglich gestaltet und teilweise reduziert werden.
Bewertung: Salvatore Vicari, Vorsitzender des Betriebsrats Homburg und des Gesamtbetriebsrats Schaeffler Technologies, betont: „Die Belegschaft aus Zunderbaum wechselt in die anderen Homburger Werke, die Kugelfertigung bleibt als Schlüsseltechnologie erhalten und wir erhalten Investitionen zur Digitalisierung der Homburger Fabriken. Wir haben uns enorm engagiert und gewonnen.“
Frank Hildebrandt, Vorsitzender des Betriebsrats Luckenwalde, sagt: „Wir befinden uns gerade in engem Austausch und der Bewertung mit dem INFO-Institut. Aus unserer Sicht sind die Pläne des Arbeitgebers weder wirtschaftlich noch sozialpolitisch nachvollziehbar. Auch bezüglich der Zukunftsvereinbarung besteht noch intensiver Redebedarf. Wir stehen weiterhin für einen Verbleib bei Schaeffler.“
Volker Robl, Vorsitzender des Betriebsrats Bühl,  kommentiert: „Wir sind froh, dass wir den Stellenabbau reduzieren konnten und sehen Bühl mit den Zukunftsprojekten gut aufgestellt.“

Paket 3: Werkzeug- und Sondermaschinenbau
(Bühl, Herzogenaurach, Hirschaid, Homburg, Höchstadt, Schweinfurt)

Ausgangslage: Das Management kündigte an, den Werkzeugbau in Höchstadt zu zentralisieren und in Bühl, Hirschaid, Homburg, Schweinfurt nur stark ausgedünnte „Toolshops“ zu belassen (-329 Stellen). Im Sondermaschinenbau sollte die Hälfte der Belegschaft abgebaut werden (150 Stellen).
Ergebnis: Der Werkzeugbau wird in Höchstadt zentralisiert und es wird massiv investiert. Der Personalabbau in den Toolshops und im Sondermaschinenbau wird reduziert.
Bewertung: Roland Holler, Vorsitzender des Betriebsrats Höchstadt, erklärt dazu: „Wir sind zufrieden. Die ‚Toolshops‘ werden personell und finanziell besser ausgestattet als geplant und wir behalten dank des Betriebsrats-Konzepts den Industrie-Bereich in Höchstadt – mit weit über 300 Stellen.“
Hanna Köhler, Vorsitzende des Betriebsrats Herzogenaurach, ergänzt: „Im Werkzeugbau Herzogenaurach konnten wir den Personalabbau verringern. Sozialverträgliche Lösungen zu finden und mehr Investitionen durchzusetzen, hat für uns nach wie vor eine hohe Priorität.“

Paket 4: Industrie
(Eltmann, Höchstadt, Schweinfurt, Wuppertal)

Ausgangslage: Der Arbeitgeber plante, die Werke Eltmann und Wuppertal zu schließen, die Sparte Industrie aus Höchstadt zu verlagern und in Schweinfurt massiv Arbeitsplätze zu vernichten (-315 Stellen).
Ergebnis: Der Standort Eltmann mit ursprünglich 420 Arbeitsplätzen wird in den Standort Schweinfurt integriert. Das Werk Wuppertal soll geschlossen werden, nur 25 bis 50 der aktuell noch rund 700 Arbeitsplätze sollen erhalten bleiben. Die Industrie-Sparte bleibt in Höchstadt, am Standort Schweinfurt soll es keinen Arbeitsplatzabbau geben.
Bewertung: Jürgen Schenk, Vorsitzender des Betriebsrats Schweinfurt, sieht das Verhandlungsergebnis für Schweinfurt als Erfolg: „Wir konnten nach harten Verhandlungen den Arbeitsplatzabbau auf null drücken und Investitionen unter anderem für den neuen Bereich Robotics sichern. Doch der Arbeitgeber kündigt bereits an, dass er künftig auch profitable Produkte ins Ausland verlagern will und macht Druck auf unseren Tarifvertrag. Wir müssen daher weiterkämpfen.“
Ulrich Schöpplein, der Vorsitzende des Betriebsrats in Eltmann, ergänzt: „Für uns ist das Ergebnis mit der Verlagerung bitter. Zumindest bekommen alle Beschäftigten die Möglichkeit, nach Schweinfurt zu wechseln, und wir haben einen finanziell gut ausgestatteten Interessenausgleich abgeschlossen.“

Paket 5: Technologie
(Clausthal-Zellerfeld, Herzogenrath)

Ausgangslage: Der Vorstand beabsichtigte, den Standort Clausthal-Zellerfeld mit 50 Arbeitsplätzen zu verkaufen und in Herzogenrath 17 Stellen abzubauen.
Ergebnis: Die Verhandlungen mit einem industriellen Investor für Clausthal-Zellerfeld laufen und in Herzogenrath wurden die Stellen ohne betriebsdingte Kündigungen abgebaut.
Bewertung: „Wir wären sehr gerne bei Schaeffler geblieben, und keiner von uns kann begreifen, dass 30 Jahre Erfahrung, Expertise und Know-How im Konzern nichts mehr wert sein sollen“, erklärt Jürgen Wendt, Vorsitzender des Betriebsrats in Clausthal-Zellerfeld, dazu. „Gleichwohl, Verkauf ist besser als Schließung. Bei dem Investor haben wir ein gutes Gefühl, denn wir erkennen ein Konzept, das Hand und Fuß hat. Als Betriebsrat versuchen wir jetzt das Beste herauszuholen, insbesondere die Übernahme aller Kolleginnen und Kollegen sowie eine Standortgarantie für mehrere Jahre.“

Ausblick und Bewertung

Susanne Lau (Hamburg), Vorsitzende des Konzernbetriebsrats: „Wir im Aftermarket sind mit dem Ergebnis des Interessenausgleichs absolut zufrieden. Den Erhalt aller Betriebsstätten zumindest bis April 2024 sowie den Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen sehen wir als einen großen Erfolg! Weiterhin wünschen wir uns eine strategische Ausrichtung des Managements in der Transformation, mit der nötigen Transparenz – und Verständnis für die Beschäftigten.“

Ulrich Schöpplein (Eltmann), Vorsitzender des Europäischen Betriebsrats: „Für Eltmann und Wuppertal haben wir solide Alternativkonzepte vorgelegt, die wirtschaftlich und sozial tragbar waren. Damit hätten wir beide Industrie-Standorte gerettet. Doch der Arbeitgeber will noch den letzten Cent aus der Industrie-Sparte herausquetschen. Diese Gewinne sollen die Investitionen für Elektromobilität und andere Zukunftsfelder mitfinanzieren. Diese Gewinnmaximierungs-Strategie gefährdet viele Standorte. Bei fehlendem Wachstum in Europa geht es immer mehr darum, Volumen und Produkte europaweit fair zu verteilen, zum Erhalt der Werke!“

Hanna Köhler (Herzogenaurach), stellvertretende Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats: „Bei SPACE sehe ich Licht und Schatten. Einerseits wird viel in Deutschland investiert, wir konnten den Personalabbau deutlich reduzieren und bisher gibt es keine betriebsbedingten Kündigungen. Andererseits sollen mehrere Standorte geschlossen oder verkauft werden. Zudem gehen die Veränderungen unvermindert weiter. Unser Ziel heißt: Transformation bei Schaeffler – alle mitnehmen! Hierzu gehören Investitionen in neue Produkte und Geschäftsmodelle sowie die Qualifizierung der Beschäftigten. Wir setzen uns mit der IG Metall dafür ein, dass alle Standorte eine Zukunftsperspektive bekommen!“

Jürgen Wechsler (IG Metall), stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats: „SPACE ist das größte und umfangreichste Strukturprogramm in der Geschichte von Schaeffler. 19 Standorte sind in Deutschland betroffen mit unterschiedlichsten Maßnahmenpaketen, die uns alle über Gebühr gefordert haben.

Nach 7 Monaten Auseinandersetzungen auf der Straße, in der Öffentlichkeit und am Verhandlungstisch liegen für die meisten Standorte nun Ergebnisse und Vereinbarungen vor. Dabei ist es gelungen, alle bisherigen Maßnahmen ohne betriebsbedingte Kündigungen umzusetzen. Damit haben wir eine unseren roten Linien durchsetzen können.

Auch konnten wir bisher geplante Schließungen verhindern oder zumindest für die Beschäftigten akzeptable Lösungen erreichen. Dies müssen wir jetzt auch für die restlichen Standorte erreichen – gemäß der zweiten roten Linie: „Keine Standortschließung ohne Alternativen“.

Zu guter Letzt konnten wir wichtige Zukunftsprojekte zur Stärkung des Standorts Deutschland vereinbaren, z. B. ein neues Zentrallabor, Kompetenzzentren inklusive. Produktion für Kunststoff, Wasserstofftechnologie, Werkzeugbau, Robotik, Industrie 4.0. Es ist auch gelungen, die Elektromotoren-Produktion aus Ungarn nach Deutschland zurück zu verlagern. Damit konnten wir eine weitere rote Linie durchsetzen.

Wer kämpft, kann verlieren – wer nicht kämpft, hat schon verloren. Wir haben jedenfalls nicht verloren!“

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