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28.05.2021
Wuppertal: Traditionsreiches Werk schließt die Pforten

Schaeffler Wuppertal: Betriebsrat und IG Metall handeln „vorzeigbaren“ Sozialplan aus – Kritik an Profitmaximierung zu Lasten der Beschäftigten

Der Betriebsratsvorsitzende Özgür Sönmezcicek spricht zu den Kolleginnen und Kollegen

Der Himmel öffnete die Schleusen, passend zur traurigen Botschaft bei der Betriebsversammlung

Betriebsrat und IG Metall handeln „vorzeigbaren“ Sozialplan aus

Wuppertal. Monatelang hatten sie gehofft, gebangt, um ihren Standort gekämpft – die Schaeffler-Beschäftigten in Wuppertal. Mit ihrem Betriebsrat und mit Unterstützung der IG Metall sowie des INFO-Instituts erarbeiteten sie „wirtschaftlich tragfähige Zukunftsalternativen“ zum Erhalt ihrer Arbeitsplätze und des Standortes. Doch der Konzernvorstand im fränkischen Herzogenaurach senkte den Daumen: Die Beschäftigten bekamen keine „faire Chance“. Das traditionsreiche Werk an der Mettmanner Straße wird Ende 2022 endgültig geschlossen, so der Vertreter der Arbeitgeberseite Marcus Eisenhuth auf der Betriebsversammlung die Corona bedingt erneut unter freiem Himmel auf dem Werksgelände stattgefunden hat.

Kurz zuvor hatte die Hauptversammlung beschlossen, den Aktionärinnen und Aktionären Dividenden auszubezahlen. „Das ist ein positives Signal an unsere Aktionäre“, sagte Klaus Rosenfeld, der Vorstandsvorsitzende der Schaeffler AG. Dieser Zynismus muss den vom Verlust ihrer Arbeitsplätze Betroffenen wie ein Hohn in den Ohren geklungen haben. „Das Management stellt die Rendite über die Zukunft von Menschen“, empörte sich die IG Metall-Bevollmächtigte Clarissa Bader deshalb zurecht. Während sich die Anteilseignerinnen und Anteilseigner bereichern, bleiben die Wuppertaler Kolleginnen und Kollegen auf der Strecke. „Es war von Anfang an klar: Der Konzern ist nicht in wirtschaftlicher Schieflage. Es geht allein darum, den Profit zu steigern“, sagte der Betriebsratsvorsitzende Özgür Sönmezcicek. In der Versammlung kritisierte der Vorsitzende des Gesamt- und Konzernbetriebsrats Salvatore Viccari das Festhalten des Vorstands „trotz der sehr guten Alternativen der Interessenvertretung“ an den unternehmerischen Entscheidungen als einseitig und sozial unausgewogen. Er brachte in seinen emotionalen Ausführungen seinen Unmut deutlich zum Ausdruck.

Massive Proteste und Erarbeitung eines „alternativen Zukunftskonzeptes“

Es war im September letzten Jahres als die Schaeffler-Konzernleitung ihr Arbeitsplatzvernichtungs-Programm „SPACE“ verkündete. Die Nachricht, dass das Werk in Wuppertal bis Ende 2022 geschlossen werden soll, schlug wie eine Bombe ein. Für den Betriebsrat und den IG Metall-Vertrauenskörper stand fest: Wir werden uns das nicht so einfach gefallen lassen. Trotz Corona-Beschränkungen machten die Beschäftigten ihrer Wut und Enttäuschung Luft auf Kundgebungen und Mahnwachen vorm Werkstor. Sie legten mehrstündig die Arbeit nieder und transportierten ihren Unmut über die geplante Werksschließung mit einem Autokorso auf der Straße durch Wuppertal.

Doch sie beließen es nicht bei Protesten: Betriebsräte und Vertrauensleute überprüften mit Unterstützung der IG Metall und arbeitnehmernahen Beraterinnen und Berater des „INFO-Institutes“ die Arbeitgeber-Planungen auf Plausibilität und entwickelten „tragfähige Alternativen“ zum Kahlschlagkonzept der Konzernleitung. Sie wurden bei Kommunal- und Landespolitik vorstellig, warben beim nordrhein-westfälischen Arbeitsminister, Karl-Josef Laumann, (CDU), um Unterstützung für ihr „alternatives Konzept.“ Betriebsrat und IG Metall nahmen mit dem Arbeitgeber Gespräche auf, um dem Werk in Wuppertal und der Belegschaft eine langfristige und nachhaltige Perspektive zu eröffnen.

„Es zeigte sich jedoch schon bald, dass die Arbeitgeberseite daran keinerlei Interesse hatte“, so Clarissa Bader. Dr. Stefan Spindler, Vorstand Industrie, habe mit der „arroganten“ Begründung, das Alternativkonzept wäre nur „zusammen geschrieben“ worden, also „substanzlos“, die Vorstellungen der Interessenvertretung zurückgewiesen. Stattdessen kam vom Arbeitgeber ein „Angebot“: Von den rund 750 Beschäftigten sollen künftig lediglich 25 (perspektivisch bis zu 100) in einer „Service-Gesellschaft“ an einem anderen Ort im Raum Wuppertal verbleiben. Zurecht stellte sich den Betroffenen die Frage, ob nicht von langer Hand geplant worden ist, den Standort in Frage zu stellen, und „die Corona-Pandemie als Vorwand herhalten muss“, so auch der Betriebsratsvorsitzende.

„Das Beste für die Beschäftigten herausgeholt“

Nach 7 Monaten Auseinandersetzungen auf der Straße, in der Öffentlichkeit und am Verhandlungstisch ist es dem Betriebsrat mit Hilfe der IG Metall Ennepe-Ruhr-Wupper und anwaltlicher Beratung gelungen ein Verhandlungspaket – Interessenausgleich und Sozialplan – zu schnüren. „Wir halten die Entscheidung des Arbeitgebers den Standort zu schließen weiterhin für einen Fehler aber wir können als Verhandlungsteam erhobenen Hauptes sagen, wir haben unter den vorherrschenden Rahmenbedingungen und vor allem mit dem Druck der Belegschaft das Beste für die Beschäftigten herausholen können“, betonte Clarissa Bader in der Betriebsversammlung, in der die materiellen Bedingungen für die unterschiedlichen „Optionen für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses“ dargestellt wurden. Dazu gehören unter anderem: Das Ausscheiden nach der Betriebsvereinbarung „Freiwillige Austritte“, über die „Altersteilzeit“, „Betriebsbedingte Kündigungen“ sowie der „Wechsel in eine Transfergesellschaft“.

Die Abfindungssummen gehen weit über das was bisher im Rahmen von „freiwilligen Programmen“ angeboten wurde hinaus. Es ist gelungen die Regelungen die es bisher gab eklatant zu verbessern. Es gibt verschiedene Wahlmöglichkeiten entweder eine erhöhte Abfindung über einen sogenannten „freiwilligen Austritt“ oder eine etwas niedrige Abfindung aber dafür die Möglichkeit in eine Transfergesellschaft zu wechseln. Die Verweildauer ist abhängig von der individuellen Kündigungsfrist und kann zwischen 6 Monaten und bis zu 24 Monaten betragen. Für die Zeit in der Transfergesellschaft gibt es eine Aufstockung und für jeden Monat den man früher ausscheidet eine sogenannte „Sprinterprämie“.

Die Altersteilzeit-Regelung ist auf sechs Jahre angelegt – 3 Jahre aktiv, 3 Jahre passiv – zum frühestmöglichen Renteneintritt, hinzu kommt noch eine Abfindung und die Aktiv-Phase kann auch an anderen Schaeffler-Standorten beendet werden.

Beim „Arbeitsplatzwechsel/Verbleib im Konzern“ gibt es einen Nachteilsausgleich, d. h. bei einem Wechsel zur „Service-Gesellschaft“ in der Bergischen Region oder bei einem Wechsel an den „Schaeffler-Standort Schweinfurt“, hier gibt es auch Hilfe beim Umzug oder finanzielle Unterstützung bei doppelter Haushaltsführung. Auszubildende, die aus dem Konzern austreten, erhalten eine sogenannte Abschlussprämie, auch das hat es so in der Schaeffler-Welt noch nicht gegeben. Des Weiteren ist geregelt, dass die Azubis ihre Ausbildung auf jeden Fall zu Ende machen können.

In Fällen eines bevorstehenden Austritts aufgrund Renteneintritts (Regelaltersgrenze) ist die gesamte Abfindung auf das Bruttoentgelt begrenzt, das bis zur Regelaltersgrenze zu zahlen wäre.

„Trotz dieser ‚vorzeigbaren materiellen Regelungen für die Beendigung der Arbeitsverhältnisse‘ steht jedoch fest: Sie können den Verlust des Arbeitsplatzes nicht ersetzen“, erklärten die IG Metall-Bevollmächtigte Clarissa Bader und der Betriebsratsvorsitzende Özgür Sönmezcicek. Özgür dankte in der Betriebsversammlung seinen Kolleginnen und Kollegen für ihren monatelangen Kampf, den sie „ohne Illusionen, aber mit Hoffnungen“ geführt haben. Doch solange in Konzernen wie bei Schaeffler die Devise „Marge vor Mensch“ die Unternehmenskultur präge, werde mit der Existenz der abhängig Beschäftigten gnadenlos gezockt. So endete diese doch sehr traurige Betriebsversammlung und der Himmel öffnete in diesem Moment wieder die Schleusen.

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