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06.10.2021
Autoindustrie: Weniger Fertigung, aber steigende Gewinne

Die Coronakrise scheint langsam vorbei zu sein – doch wegen des Teilemangels kündigt die Automobilindustrie vorübergehende Werksschließungen und Kurzarbeit an

Kai Bliesener vom IG Metall-Vorstand äußert sich zur Lage der Autobranche (Foto: IG Metall)

Produktionsrückgang und Rekordgewinne: Wie geht das zusammen?

Die Autohersteller leiden unter dem weltweiten Teilemangel. Insbesondere Halbleiter und weitere Elektronikbauteile sind aktuell knapp. Daher verringern sie ihre Produktion und gehen teilweise sogar in Kurzarbeit, obwohl die Auftragsbücher nach weitgehender Überwindung der Coronakrise wieder voll sind.

„Wir gehen davon aus, dass zehn bis elf Millionen Fahrzeuge in diesem Jahr nicht gebaut werden können“, sagt Albert Waas, Partner bei Boston Consulting, nach Angaben der Tageszeitung DIE WELT. Für 2022 erwartet Boston Consulting einen Verlust an Produktionsleistung von 5 Millionen Fahrzeugen. Die Beschaffungskrise hätte damit auch im kommenden Jahr starke Auswirkungen.

Trotzdem schreibt die Branche aktuell Rekordgewinne. 71,5 Milliarden Euro verdienten die 16 weltweit größten Autohersteller nach einer Auswertung des Beratungsunternehmens Ernst & Young (EY) im ersten Halbjahr 2021 bis zum Sommer. Die deutschen Autobauer kamen dabei auf eine Rendite von 11,2 Prozent, bei BMW betrug sie sogar 14,5 Prozent. Wie passt das zusammen? Ein Schlüssel liegt darin, dass die Konzerne auf Klasse statt Masse setzen. Sie bauen und verkaufen margenträchtige Fahrzeuge, während die Fertigung günstiger Modelle zurückgefahren wurde; deren Lieferzeiten steigen an.

Autohersteller meistern die Krise, doch Autozulieferer könnten straucheln

Ein weiterer Effekt lässt die Gewinne sprudeln: Aufgrund der gestiegenen Nachfrage bei gleichzeitig gesunkenem Angebot (aufgrund der nachlassenden Produktion) müssen die Autobauer mittlerweile keine Rabatte mehr bieten. Selbst die Preise von Gebrauchtwagen sind nach dem Absacken in der Coronakrise wieder erheblich angestiegen. Nicht zuletzt können die Autohersteller höhere Kosten in den Werken wegen teilweise stillstehender Bänder dank steuerlich mitfinanzierter Kurzarbeit zeitnah und kostengünstig absenken.

Für Autozulieferer wie Schaeffler ergibt sich eine größere Herausforderung, weil sie weder renditestärkere Produkte fertigen noch die Preise gegenüber ihren Kunden – den Autoherstellern – anheben können. Ihnen bleiben nur die Optionen der tariflichen Arbeitszeitverkürzung und der staatlich geförderten Kurzarbeit, um auf den Nachfragerückgang flexibel zu reagieren. Allerdings hört man von den Koalitionsgesprächen auf Bundesebene in Berlin, dass die Remanenzkosten der Kurzarbeit wohl nur noch bis Ende 2021 gezahlt werden sollen. Der Halbleitermangel sei keine "höhere Gewalt" wie Corona, sondern aufgrund von Fehlern in der Beschaffungskette selbst verursacht, und er müsse daher auch von der Branche bezahlt werden.

IG Metall fordert politische Begleitung der Autobranche in der Transformation

Kai Bliesener, Leiter des Bereichs Fahrzeugbau und Zulieferer beim IG Metall-Vorstand, erwartet laut WELT gewisse Mitnahmeeffekte der Branche bei der Kurzarbeit: "Die Gefahr von Missbrauch besteht natürlich. Aber die Chipkrise ist real, man darf sie nicht kleinreden." Der Gewerkschaftsvertreter sieht vor allem Liquiditätsprobleme für kleinere Zulieferer, denen es schon vor der Coronakrise nicht gut ging, und die Probleme haben mit der Transformation hin zu Elektromobilität und Digitalisierung. Viele Autozulieferer schliddern nach dem langsamen Auslaufen der coronabedingten Nachfrageflaute nun direkt in die nächste Krise.

Dabei kommt ein Doppeleffekt zum Tragen: Zum einen können sie weniger Teile an die Hersteller liefern, und zum anderen müssen sie die gestiegenen Materialpreise zum großen Teil selbst bezahlen. Kai Bliesener möchte daher auch nicht ausschließen, dass mancher Autozulieferer 2022 auf der Strecke bleiben könnte, mit entsprechenden Folgen für die Arbeitsplätze. Zudem droht die Gefahr weiterer kostengetriebener Verlagerungen von Fertigung nach Osteuropa und nach China. Die IG Metall fordert deshalb auch von der nächsten Bundesregierung eine aktive Begleitung des Umbruchs in der Branche, nicht zuletzt mit finanzieller Unterstützung. Dies sei unbedingt erforderlich, um Standorte und Beschäftigte zu sichern.

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