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29.10.2021
Bundesarbeitsgericht: Der Wert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Wer sein Arbeitsverhältnis selbst kündigt und daraufhin mit Arbeitsunfähigkeit krank geschrieben wird, sollte bei einem Entgeltfortzahlungsprozess gegen den Arbeitgeber den behandelnden Arzt von der Schweigepflicht entbinden

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung besitzt allgemein hohen Beweiswert

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat geurteilt: Kündigt ein Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis und wird am Tag der Kündigung arbeitsunfähig krankgeschrieben, kann dies den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung insbesondere dann erschüttern, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst.

Laut der Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts war die Klägerin bei der Beklagten seit Ende August 2018 als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Am 8. Februar 2019 kündigte die Klägerin das Arbeitsverhältnis zum 22. Februar 2019 und legte der Beklagten eine auf den 8. Februar 2019 datierte, als Erstbescheinigung gekennzeichnete Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Die Beklagte verweigerte die Entgeltfortzahlung.

Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei erschüttert, weil diese genau die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses nach der Eigenkündigung der Klägerin abdecke. Die Klägerin hat demgegenüber geltend gemacht, sie sei ordnungsgemäß krankgeschrieben gewesen und habe vor einem Burn-Out gestanden. Die Vorinstanzen haben der auf Entgeltfortzahlung für die Zeit vom 8. Februar bis zum 22. Februar 2019 gerichteten Zahlungsklage stattgegeben.

Bundesarbeitsgericht verweigert Entgeltfortzahlung in Einzelfall

Die vom Senat nachträglich zugelassene Revision der Beklagten hatte jedoch Erfolg. Die Klägerin hat die von ihr behauptete Arbeitsunfähigkeit im Streitzeitraum zunächst mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen. Diese ist das gesetzlich vorgesehene Beweismittel. Dessen Beweiswert kann der Arbeitgeber erschüttern, wenn er tatsächliche Umstände darlegt und gegebenenfalls beweist, die Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit geben. Gelingt das dem Arbeitgeber, muss der Arbeitnehmer beweisen, dass er arbeitsunfähig war. Der Beweis kann insbesondere durch Vernehmung des behandelnden Arztes nach entsprechender Befreiung von der Schweigepflicht erfolgen.

Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert. Die Übereinstimmung zwischen der Kündigung vom 8. Februar zum 22. Februar 2019 und der am 8. Februar bis zum 22. Februar 2019 bescheinigten Arbeitsunfähigkeit begründet aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts einen ernsthaften Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit. Die Klägerin ist im Prozess ihrer Darlegungslast zum Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit – auch nach Hinweis des Senats – nicht hinreichend konkret nachgekommen. Die Klage war daher abzuweisen.

Stellungnahme Tjark Menssens vom DGB-Rechtsschutz zum Urteil

Bekommen Arbeitnehmer jetzt überhaupt keine Entgeltfortzahlung mehr, wenn sie in der Kündigungsfrist krank werden? Nein, das ist auch mit der vorliegenden Entscheidung nicht zu befürchten. Das BAG hat lediglich die ohnehin bestehende Rechtsprechung zur abgestuften Darlegungs- und Beweislast auf diesen Fall angewendet und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der Beweiswert der Bescheinigung hier erschüttert war.

Wer also sein Arbeitsverhältnis selbst kündigt und daraufhin tatsächlich krank wird, sollte zunächst einmal Ruhe bewahren. Denn nach wie vor gilt der hohe Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Und selbst wenn der Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit tatsächlich bezweifelt und die Entgeltfortzahlung verweigert, besteht immer noch die Möglichkeit, im Prozess die Ärztin oder den Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden. Diese können das Gericht darüber informieren, dass tatsächlich eine Krankheit vorliegt.

Quellen:
1) Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 8. September 2021 – 5 AZR 149/21; Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 13. Oktober 2020 – 10 Sa 619/19
2) Metallzeitung, Nr. 11/12-2021, Seite 24

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