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14.10.2022
Von: AC
Der europäische Betriebsrat

Ulrich Schöpplein ist seit 2020 Vorsitzender des Europäischen Betriebsrats (=EBR) von Schaeffler. Hier spricht er über die Betriebsratsarbeit auf der europäischen Ebene, ihre Grenzen und ihre Chancen, insbesondere angesichts der stattfindenden Transformation und der unterschiedlichen nationalen Voraussetzungen.

Neuwahl im EBR-Führungsteam 2022. V.l.n.r.: Marin Radut (Beisitzer), Ulrich Schöpplein (Vorsitzender), Undine Memmler (IndustriAll), Salvatore Vicari (stellv. Vorsitzender), Francesco Nicoliello (stellv. Vorsitzender) und Jürgen Stolz (Schriftführer).

Kollege Schöpplein, Du bist der Vorsitzende des Europäischen Betriebsrats von Schaeffler. Wer gehört zum EBR und was sind seine Kompetenzen? Wie haben die Beschäftigten und die Arbeitgeberseite mit ihm zu tun?

Der EBR beruht auf dem Europäischen Betriebsräte-Gesetz: Insgesamt gibt es 18 Delegierte aus den Betriebsräten aller Standorte in der EU, wenn im jeweiligen Land maßgebend hundert Mitarbeiter*innen oder mehr bei Schaeffler beschäftigt sind. Das sind zurzeit zwölf Länder. Wir tagen einmal im Jahr in Form einer EBR-Vollversammlung, in der die Delegierten über 99 Prozent unserer Arbeitnehmer*innen in der EU vertreten, und viermal jährlich im geschäftsführenden Ausschuss. Bei Sondersituationen können wir uns öfter treffen, zum Beispiel bei Verlagerungen und Massenentlassungen, um darüber zu beraten, außerdem haben wir ein Recht auf Anhörung und Unterrichtung durch die Arbeitgeberseite. Ein Recht auf Mitbestimmung wie in Deutschland besteht auf europäischer Ebene allerdings nicht. Wir haben also nicht denselben rechtlichen Einfluss: unsere rechtlichen Möglichkeiten ähneln eher denen eines Wirtschaftsausschusses.

Eines unserer Ziel auf europäischer Ebene ist es, eine Basis zu haben, auf der wir im Rahmen der Konzernstrukturen zusammenarbeiten können und die Interessen der Beschäftigten vertreten. Innerhalb dieser Strukturen tauschen wir regelmäßig Informationen auf Arbeitnehmerseite aus. Das hat vor allem in unserer globalisierten Welt einen großen Mehrwert, weil viele gegenseitige Abhängigkeiten bestehen.

Der EBR hat sich gerade erst neu konstituiert. Wo setzt er zukünftig seine Schwerpunkte? Was sind die staatenübergreifenden Entwicklungen, mit denen er sich in den letzten Jahren beschäftigt hat?

Die Pandemie hat uns 2020 die Möglichkeit genommen, uns zu treffen, dadurch ist eine Pause von zwei Jahren zwischen den Vollversammlungen entstanden. Außerdem sind durch die Neukonstituierung viele neue Gesichter hinzugekommen. Doch jetzt bessert sich die Lage und uns liegt viel daran, uns effizient zu vernetzen. So können wir uns auch unseren Herausforderungen besser stellen, allen voran der Transformation. Wenn wir verstehen, welche gegenseitigen Abhängigkeiten bestehen, welches Know-How und welche Produkte wo sind, können wir bei Veränderungen im ersten Schritt Betroffenheiten besser abschätzen und im zweiten Schritt mögliche Lösungsansätze generieren, die wir beim Arbeitgeber einfordern. Ein Beispiel dafür wäre Schaefflers Wasserstoffprojekt in Frankreich: es beeinflusst Standorte in ganz Europa und durch unsere Vernetzung im EBR können wir genauer wissen, was in Hagenau passiert.

Eine weitere große Herausforderung, die sich direkt aus dem EBR ergibt, ist, dass die Voraussetzungen unserer Betriebsräte je nach Standort und besonders je nach Staat sehr unterschiedlich sind. Wir unterliegen nicht denselben Rechtsgrundlagen. Gerade deswegen wollen wir an jedem Standort in der EU die Gründung eines Betriebsrats durchsetzen. In einigen Ländern ist es auch sehr gängig, dass eine Gewerkschaft nur regional, nur für ein Unternehmen oder gar nicht existiert. Dort streben wir die Gründung von Gewerkschaften an, die wir unter dem weltweiten Dachverband der IndustriAll vereinigen wollen. Das ist uns wichtig, um über regionale Gesetzgebungen bessere Arbeitsbedingungen zu ermöglichen, aber auch, um durch eine gestärkte Kommunikation beispielsweise die Transformation besser stemmen zu können.

Die einzelnen Betriebsräte arbeiten also auch gewerkschaftlich zusammen?

Der globale Dachverband IndustriAll ist in all unseren regulären Sitzungen vertreten. Er bringt rechtliche Expertise und breite Kenntnisse mit, so werden wir über die Situation in den Ländern und über die europäische Lage verstärkt in Kenntnis gesetzt. Wie bereits erwähnt sind die Länder unterschiedlich stark organisiert. Wenn es in einem Land mehrere Standorte gibt, gehören die Betriebsräte nicht unbedingt derselben Gewerkschaft oder demselben Dachverband an, darunter kann insgesamt die Kommunikation leiden. Häufig gehören an einem einzelnen Standort Betriebsrät*innen unterschiedlichen Gewerkschaften an. Schaeffler hat in keinem anderen Land einen Gesamt- und Konzernbetriebsrat wie hier in Deutschland, der die Standorte miteinander im Kontakt hält. Das ist unvorteilhaft für Absprachen zu Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite. Gerade aus diesen Schwierigkeiten heraus hat es einen enormen Mehrwert, im EBR Informationen und Perspektiven auszutauschen, sich zu solidarisieren. Vor kurzem haben wir unseren englischen Kolleg*innen mit einem Solidaritätsschreiben unsere Unterstützung angeboten und nach einem Dauerstreik haben sie nun eine sehr gute Entgelterhöhung erreicht. Jetzt verhandeln wir die Tarifrunde in Deutschland. Dass wir gute Tarifabschlüsse erreichen, ist für einen starken europäischen Markt wichtig. Es sieht so aus, als würde die EU in Zukunft mehr aus ihrem eigenen Markt heraus leben müssen, wenn das langfristig funktionieren soll, brauchen wir einen demokratischen Zusammenschluss der Beschäftigtenseite und ihrer Vertreter*innen.

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