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18.01.2021
Schweinfurt: Wir haben einen aufrechten Menschen verloren!

Am 25. Dezember 2020 verstarb der langjährige Schweinfurter Schaeffler-Betriebsrat Klaus Hofmann an den Folgen eines Schlaganfalls. Mit ihm verliert die an Aufklärung und Emanzipation orientierte politische Arbeit in Schweinfurt und Unterfranken einen wichtigen, herausragenden Menschen und Akteur

Klaus Hofmann 2013 bei seiner Verabschiedung von Schaeffler Schweinfurt (Foto: Betriebsrat)

„Nimm den Hammer und bring ihn zum Chef. Sag ihm, dass ich fort bin. Sag ihm, ich bin weg. Wenn er fragt warum, sag ihm ich will leben. Das Leben, das ich will, kann er mir nich` geben.“ Rio Reiser gab mit seinen Texten der Lehrlingsbewegung eine Stimme, die sich zeitgleich mit der Studentenrevolte der 1968er auf den Weg machte, die verstaubten überkommenen Verhältnisse in Betrieben, Berufsschulen und den Gewerkschaften in Bewegung zu bringen.

Klaus Hofmann, geboren 1953, begann nach der Realschule eine Ausbildung zum Industriekaufmann bei der Schweinfurter Malzfabrik und kam über die Metallbaufabrik Vogel nach deren Konkurs 1976 zu Kugelfischer. Bereits 1971 war er der IG Metall beigetreten. Nach dem Auszug aus dem elterlichen Haus in Oerlenbach fand Klaus Hofmann schnell Anschluss an die Lehrlingsbewegung in Schweinfurt. Die „revolutionären“ Lehrlinge trafen sich in Wohngemeinschaften, dem halböffentlichen „Thälmannkeller“, in der Buchhandlung „Neuer Weg“ am Zeughaus.

Sie befanden sich im Spannungsfeld zwischen autoritären, disziplinierenden Normen von Elternhaus, Schule, Betrieb und auch seitens vieler Gewerkschafter und eigenen Vorstellungen von Haarlänge, Musik und freierer Sexualmoral. Entsprechend nah an den Lebenserfahrungen waren die Forderungen der Jugendlichen: Ein besseres Ausbildungssystem, keine ausbildungsfremden Tätigkeiten, die Abschaffung der körperlichen Züchtigung (Ohrfeigen waren durchaus üblich). Damals waren diese Forderungen hochpolitisch. Es bestanden auch Verbindungen zur Studentenbewegung, diese manifestierten sich in Aktionen zum Vietnamkrieg der USA, zum Putsch gegen Salvator Allende in Chile, gegen Militärputsch und Diktatur in Griechenland oder gegen die Umtriebe der NPD.

1972 stärkte das neue Betriebsverfassungsgesetz die Rolle der Jugendvertretungen und die Einflussmöglichkeiten der Betriebsräte in den Betrieben. Weil die Forderungen sehr konkret waren und durchgehend eine Überschneidung mit der IG Metall bestand, ging die Bewegung in Schweinfurt in die gewerkschaftlichen Strukturen auf, blieb aber nicht immer unbedingt auf „Gewerkschaftslinie“. Klaus Hofmann engagierte sich bereits bei Fenster-Vogel für den Betriebsrat und die IG Metall. Bei Kugelfischer fand er Mitstreiterinnen und Mitstreiter die, anfangs noch konspirativ im Hinterzimmer der Martinsklause, an der Demokratisierung und der Stärkung von gewerkschaftlichen Strukturen feilten. Klaus trug mit seinem fundierten Wissen wesentlich zur inhaltlichen und organisatorischen Ausprägung der IG Metall-Basisarbeit bei. Er nahm wesentlich Einfluss auf die Vertrauensleutearbeit, die Bereichsbetreuung der Angestellten und zeichnete viele Jahre verantwortlich für das Informationsblatt „Durchblick“ der Vertrauensleute. In vordigitaler Zeit war eine eigenständige Kommunikation mit der Belegschaft eine unverzichtbare Ergänzung zu Betriebsversammlungen.

Klaus Hofmann hatte wesentlichen Anteil daran, dass die gewerkschaftliche Arbeit bei Kugelfischer zum Vorzeigemodell heranwuchs. Strukturierte Arbeit des Vertrauenskörpers, flächendeckende Bereichsbetreuung der Mitarbeiter, nachhaltige Mitgliederwerbung und hohes Engagement brachten Erfolge. Die Interessenvertretung sollte Gegenmacht sein. Ein gestaltendes Herangehen, das auch aus Fehlern der Vergangenheit lernt, braucht Betriebsräte, die strategisch denken und handeln können. Ein solcher Betriebsrat, der noch dazu seine Phantasie in Widerstandsaktionen einbrachte, war Klaus.

Er war häufig der Stachel der Kritik. Aus seinem häuslichen Archiv und seinem kritischen Denken arbeitete er die Schwachpunkte heraus, hinterfragte die Aktivitäten und half bei der Verbesserung der Arbeit. Der Betriebsrat unterstützte einige organisatorische Veränderungen wie teilautonome Gruppenarbeit, weil sie im Interesse der Mitarbeiter wirkten. Andere Maßnahmen wie das Outsourcing des Versandes bekämpfte die Interessenvertretung mit Erfolg.

Als Betriebsrat, lange Zeit auch freigestellt, stand er mit unfassbarem Einfühlungsvermögen „bei den Menschen“, bis zur überhohen persönlichen Belastung. Das brachte ihm großen Zuspruch bei den Kolleginnen und Kollegen und der Interessenvertretung insgesamt mehr Anerkennung. Der Personalausschuss des Betriebsrates wurde stark durch ihn geprägt. Nach dem Wechsel in die Freistellung der Altersteilzeit engagierte sich Klaus Hofmann im Arbeitskreis außerbetrieblicher Gewerkschaftsarbeit bei den Senioren der IG Metall im Vorstand.

Bereits Anfang der 1980er Jahre hatte Klaus Hofmann intensives Interesse an der Geschichte der Schweinfurter Arbeiterbewegung entwickelt. Aus „geheimen Quellen“ und unter vorgehaltener Hand tauchte eine vollständige Sammlung der Werkszeitschrift von Kugelfischer „Unser Werk und wir“ auf. Die Neugier an der damals tabuisierten Nazivergangenheit der Firma war geweckt. Mit der ihm eigenen Akribie stöberte er gemeinsam mit den Kollegen im Arbeitskreis Faschismus unter dem Dach des DGB in Archiven und dokumentierte unzählige Zeitzeugengespräche. Aus dieser Arbeit entstanden eine Reihe von Veröffentlichungen, wie zum Beispiel „Nach dem Krieg war keiner Nazi gewesen.“ „Es hat sich was geändert- 90 Jahre Gewerkschaftskartell in Schweinfurt“.

Im Jahr 2000 nahm sich die von ihm gegründete „Initiative gegen das Vergessen“ der Zwangsarbeit in den Schweinfurter Betrieben von 1939 bis 1945 an. Das Denkmal für Zofia Malczyk am Leopoldina-Krankenhaus und den Gedenkort für Zwangsarbeiter in den Mainauen mit dem dazugehörigen Lagerweg halten die Erinnerungen an diese grausamen Ereignisse heute wach. Beide Mahnstätten entstanden durch das Engagement der Initiative, mitunter auch gegen deutlichen Widerstand von offizieller Seite. Leonardo Calossis Buch „Anmerkungen an eine Internierung in Deutschland“, das die Initiative herausbrachte schildert die Erlebnisse eines Zwangsarbeiters.   Klaus Hofmann initiierte Besuche von Insassen des Lagers und Gegenbesuche in der Ukraine, in Belgien und in Frankreich. Endlich erfuhren die Opfer eine späte Wiedergutmachung und Wertschätzung. Und aus den Begegnungen entstanden wiederum wertvolle Zeitzeugendokumente.

Klaus Hofmann führte zu den von ihm bearbeiteten Themen Begehungen und Stadtrundfahrten durch. Von 1983 bis 2020 nahmen etwa 3.500 Menschen an 200 dieser Angebote teil.

Die Arbeit von Klaus Hofmann stieß anfangs auf große Vorbehalte. Er galt manchen als Nestbeschmutzer oder Störenfried, rüttelte er mit seiner Forschung doch an den Tabus der Nachkriegszeit. „Entnazifizierungen“ sollten Normalität herstellen. Viele hielten die Integration von Nazis, Kriegsgewinnern, Tätern und Nutznießern der Diktatur für folgerichtig zum Zwecke des Aufbaus des Landes. Erinnert sei an das unsägliche Filbinger-Zitat: „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein“. Erst sehr spät setzte eine öffentliche Anerkennung ein. Medaille des Bundesverdienstkreuzes, Stadtmedaille in Silber, Felix-Freudenberger-Preis nahm Klaus Hofmann mit einem verschmitzten Lächeln entgegen, weil er diese Auszeichnungen auch als politische Absicherung seiner Arbeit verstand.

„Links, wo das Herz ist“ lautet der Titel der Autobiographie von Leonard Frank. Mit dieser Zuordnung lässt sich die Lebensleistung von Klaus Hofmann zusammenfassen. Ihn trieb an die Vorstellung von einem anderen besseren Leben, jenseits von Fremdbestimmung und Kapitallogik. Der Mensch sollte sich nicht mehr selbst zum Feind sein. Er sah die Endlichkeit der Ressourcen der Erde und engagierte sich deshalb auch in der Antiatombewegung und für die Erhaltung der Natur. Im Sinne von Antonio Gramsci war er ein organischer Intellektueller, indem er gleichermaßen Lehrer und Lernender war. Und er wurde nicht „verbohrt“ oder zum Stubenhocker. Durch zahllose Wanderungen, die er meist selbst organisierte, konnten sich Gedanken setzen und Pläne reifen. Als Teil seiner Gruppe der abhängig Beschäftigten bildete er sich fortwährend und war äußerst belesen. Er konnte aber auch andere zur Tat motivieren. Klaus Hofmann wird uns fehlen, er ist unverzichtbar.

Klaus Hofmann hinterlässt seine Ehefrau und drei erwachsene Kinder.

Autor: Norbert Lenhard

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