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04.10.2022
Von: AC
Eine Tarifrunde mit Herausforderungen

Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Salvatore Vicari äußert sich in einem Interview zur Tarifrunde der IG Metall und den Auswirkungen der Inflation auf die Beschäftigten.

GBR-Vorsitzender Salvatore Vicari

Kollege Vicari, dieses Jahr stellt die IG Metall eine hohe Forderung. Acht Prozent mehr Gehalt, wie kam das zustande?

Als die Forderung erarbeitet wurde, hatten wir in Deutschland eine Inflationsrate von annähernd acht Prozent, inzwischen sind es sogar fast zehn Prozent. Sie ist vor allem durch die Energiepreise gestiegen, die sich wiederum auf die Produktion anderer Güter auswirken. Das heißt, dass sich die Energiekosten nicht nur an der Tankstelle und in der Stromrechnung bemerkbar machen, sondern in fast allem, was wir als Privatpersonen einkaufen.

Bei den jetzigen Preisen könnten mehr als tausend Euro im Jahr zusätzlich auf den Durchschnittshaushalt hinzukommen. Viele unserer Mitarbeiter*innen bei Schaeffler kommen gerade aber finanziell an ihre Grenzen, insbesondere in den niedrigen Entgeltgruppen machen die Leute sich große Sorgen. Die Lage ist zum Beispiel für Alleinerziehende und Beschäftigten in unteren Entgeltgruppen besonders prekär. Sie sagen mir, dass eine Einmalzahlung jetzt nicht reicht. Die Leute brauchen eine dauerhafte Erhöhung, auch weil sich die Entgelte in der Tariftabelle seit 2018 nicht mehr verändert haben. Ich führe zurzeit Gespräche, wie ich sie in meinen 28 Jahren im Betriebsrat noch nicht erlebt habe. In der Metall- und Elektroindustrie ist nicht die Zeit, um sich auf Gewinnmaximierung zu konzentrieren. Die Unternehmen müssen auf seine Mitarbeiter*innen achten.

 

Wenn die Forderung mit den gestiegenen Kosten zusammenhängt, wie realistisch schätzt Du es ein, dass diese Gehaltserhöhung zustande kommt? Sind die Unternehmen in der Metall- und Elektroindustrie nicht auch von der Teuerung betroffen?

Die Unternehmen sind betroffen, aber die Metall- und Elektroindustrie steht zurzeit immer noch besser da als viele anderen, da die Auftragsquoten sehr hoch sind. Deswegen gibt es zurzeit sogar eine neue Einstellungswelle, um alle Aufträge bearbeiten zu können und die Gewinne einzufahren. Die Auftragslage kann sich natürlich wieder verändern, insbesondere, wenn die Privathaushalte sich die Endprodukte nicht mehr leisten können. Aber eine Aufstockung des Gehalts steigert die Kaufkraft und kurbelt die Wirtschaft weiter an, es ist also auch im Interesse der Unternehmen, ihre Beschäftigten finanziell gegen die steigenden Preise auszustatten.

Es kommt noch hinzu, dass die Branche unter den Bedingungen der Coronapandemie und ihrer Auswirkungen in den letzten zwei Jahren Verluste im Umsatz und im Gewinn hinnehmen musste. In dieser Zeit ist die Gewerkschaft mit ihren Forderungen sehr zurückhaltend gewesen, weil die Lage angespannt war. Das heißt aber auch, dass für die letzten zwei Jahre nachgerüstet werden muss. Die Erhöhung der Tarifgehälter ist dieses Jahr übrigens nicht die einzige Forderung der IG Metall. Die Altersteilzeitregelung läuft nach jetzigem Stand Ende Dezember aus, soll in den Verhandlungen aber verlängert werden. Es werden außerdem mehr freie Tage als Wahloption zur tariflichen Zusatzvergütung gefordert, und eine volle Übernahme der Semesterbeiträge für Duale Studierende.

 

Die ersten Verhandlungsrunden haben bereits stattgefunden, viele Metaller*innen haben die Forderung nach acht Prozent unterstützt. Was sollten wir als Beschäftigte innerhalb und außerhalb des Betriebs machen, um die IG Metall in ihren Forderungen zu stärken?

Je mehr Leute sich mit der IG Metall solidarisieren, desto besser kann sie durchsetzen. In erster Linie brauchen wir also eine hohe Mitgliederzahl. Als Gewerkschafter*innen haben die Beschäftigten viele Möglichkeiten, um sich zu beteiligen: Zu den Tarifrunden sind alle Mitglieder eingeladen, sich an den verschiedenen Aktionen mitzumachen und ab dem Ende der Friedenspflicht auf Kundgebungen und Demonstrationen zu gehen. Im Unternehmen können sie den Betriebsrat und den Vertrauenskörper kontaktieren, um sich über kommende Kundgebungen und Veranstaltungen zu informieren. Wer sich für ein Thema besonders interessiert, findet bei seiner Dienststelle der IG Metall möglicherweise einen Arbeitskreis oder einen Ausschuss dazu. Wenn die Arbeitnehmer*innen geschlossen zusammenarbeiten, haben wir die besten Chancen auf gerechte Löhne und Arbeitsbedingungen.

 

Salvatore Vicari, danke für dieses Gespräch.

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